Leseprobe zu "Das Gerücht"
im Buchhandel erhältlich
Das Gerücht
Bühnenstück
(Vorhang ist geschlossen, Spot an, Erzähler beginnt zum Publikum zu sprechen)
„Vorsicht, das Gerücht geht um!
Das Gerücht stolziert auf seinen dünnen Beinen durch die Stadt, es läuft von Haus zu Haus, lauscht an jeder Tür, sitzt unerkannt an jedem Tisch und steckt seine Nase in Dinge, die es nichts angehen und die besser im Verborgenen bleiben. Es sieht und hört alles!
Das Gerücht versteckt sich gerne hinter seinen großen Schwestern, der Wahrheit und der Lüge. Woran ihr es erkennt?
Die Wahrheit ist immer da, aber nicht immer gut zu sehen. Das ist ihre Natur. Sie muss nicht gefallen, und wertet nicht, denn ein Korb ist ein Korb und ein Hund ist ein Hund.
Eine andere große Schwester ist die Lüge. Sie wertet durchaus, denn sie ist in allem das Gegenteil der Wahrheit. Das ist ihre Natur, und damit ist sie genauso wahrhaftig wie die Wahrheit.
Im Gegensatz zur Wahrheit und zur Lüge nimmt das Gerücht für sich in Anspruch die Wahrheit zu verkünden indem es eine kleine Menge tatsächlicher Ereignisse mit einer Portion Lüge, mit Gefühlen und ganz viel heißer Luft aufschlägt. Es ist schwer nachprüfbar und weder tatsächlich eine Lüge, aber auch nicht wirklich die Wahrheit.
Das Gerücht redet gerne über Dritte, wenn es unterwegs ist. Das ist seine Art der Vermehrung. Dabei ist ihm egal, wen es erwischt.
Ein Gerücht, wenn es mal in der Welt ist, ist schwer wieder einzufangen und noch schwerer es tot zu kriegen. Selbst wenn es als Gerücht enttarnt wird, hat es meistens sein Gesicht verändert, sich vermehrt, und ist weitergezogen.
Dort wo es seine Spuren hinterlassen hat, bleibt ein fader Nachgeschmack der Ungewissheit zurück, der mit Wasser nicht abzuwaschen ist. Gras über die Angelegenheit wachsen zu lassen nützt nicht wirklich etwas. Der Schaden ist angerichtet. „Es ist meistens ein Körnchen Wahrheit dahinter.“
Also hütet euch vor dem Gerücht, es könnte auch euch treffen und an euch kleben bleiben!“
Diese Verlautbarung befindet sich an der Litfaßsäule auf dem Marktplatz unserer kleinen Gemeinde und bildet damit den Kern unserer Geschichte
(Spot aus, Erzähler verlässt die Bühne)